In den vergangenen 12 Jahren habe ich viel Zeit und Arbeit in gooloo gesteckt, Produkte im Wert von mehreren hunderttausend Euro vorgestellt und gefühlt genau so viel in die Infrastruktur gesteckt - das ist aber ein anderes Thema.
Ich hatte immer die Idee, Produkte persönlich zu betonen, mich aber mit Ausnahme der Produktvorstellung nicht selbst in den Fokus zu stellen. Doch in den letzten Jahren sind wir gefühlt Jahrzehnte in die Vergangenheit verschwunden und ich finde es wichtig, Stimmen wie meiner Gehör zu verschaffen. Und da ich bereits einen gewissen Teil an Publikum besitze, möchte ich heute ein wenig von mir erzählen.
Mein auf dem Personalausweis eingetragener Name ist Nico Pahl, ich bin AMAB ("Assigned Male at Birth"), bin am 22.01.1995 in Rendsburg geboren und nenne mich Eileen. Diesen Namen trage ich seit inzwischen 15 Jahren, als ich mich mit 13 Jahren als Trans*frau geoutet habe.
Ich kann mich glücklich schätzen, dass viele, die gooloo verfolgen, dies bereits wissen und sich nicht abgewendet haben. Etwas, für das ich sehr, sehr dankbar bin.
Mein Leben verlief alles andere als "gut" und mein Vater versuchte dies dafür verantwortlich zu machen, dass ich "diesen Weg" gehe. Eine Meinung, die viele teilen. Dass "Anders sein" aus dem Nichts entsteht, wenn etwas nicht den erzkatholischen, weiß-christlichen Weg geht. Etwas, dass glücklicherweise in meiner Generation und allen danach immer weniger von Bedeutung ist; Etwas, von dem sie wissen, dass es nicht stimmt.
Ich konnte mich glücklich schätzen, in einer wirklich liberalen, grünen Region aufzuwachsen. Schleswig-Holstein hat bedeutend weniger AfD-, NPD- und Der dritte Weg-Wähler als wohl so ziemlich jedes andere Bundesland; und dennoch kann ich hier sehr deutlich spüren, wie ein christlich-weißer, radikaler Aufschwung immer lauter wird.
Und deshalb finde ich es wichtig, Sichtbarkeit zu zeigen. In meinem privaten Leben bin ich unendlich offen. Unter einem anderen Pseudoym (der aber auch mit meinem "echten Namen" verbunden ist), habe ich jahrelang YouTube-Videos produziert, mich gegen Rechtsradikalismus stark gemacht; Stand als offenes Ohr zur Seite, wenn Fragen zum Coming Out bestanden und habe im Familien- und Freundeskreis aufgeklärt.
Denn auch wenn Freunde und Familie, zumindest der Teil der Familie, der mich weltoffen akzeptiert und unterstützt, offen und einbezogen sind in die Probleme queerer Menschen, auch meiner persönlichen Schwierigkeit, sind die Welten zwischen mir, uns und ihnen unendlich weit auseinander.
Während meine Eltern sich um Benzinpreise und Heizungen sorgen, meine beste Freundin ihre Ängste mit dem ersten Kind bewältigen muss, denke ich darüber nach, ob ich morgen noch frei leben werde.
Es war noch nie so deutlich, dass eine Vielzahl an Menschen, wenn auch zum Glück noch immer die Minderheit, meinen Tod wünschen oder mindestens, dass ich meinen Mund halte oder in den Abgrund verschwinde.
Wie oben schon erwähnt, lebe ich in einer der liberalsten Gegenden des Landes. Und dennoch wurde mir eine Waffe an den Kopf gehalten, wurde ich zwei Mal vergewaltigt (um mir "klar zu machen", dass das nichts ist, was einem Gefallen sollte), bespuckt und aus Geschäften verwiesen. Mir wurde meine EC-Karte abgenommen, weil mein Gesicht nicht mit meinem Namen übereinstimmt und selbst an Weihnachten war es mir verwehrt, vor dem Restaurant friedlich eine Zigarette zu rauchen, ohne bedrängt zu werden.
Ich habe glücklicherweise ein immens großes Support-Netzwerk. Menschen, die mich lieben und in jedem Fall schützen. Die sich vor mich stellen, sich für mich laut machen, wenn ich es nicht kann, und sich für mich einsetzen. Und dennoch fürchte ich jeden Tag. Nicht um mein Leben, denn das ist mir egal; sondern darum, dass jemand verletzt werden könnte, weil er sich hinter mich stellt. Weil ich Angst haben muss, dass mir lebenswichtige Dienste verweigert werden. Dass Ärzte mich ablehnen, dass meine Wohnung abgebrannt wird. Das meine Kontaktdaten geteilt werden (was inzwischen schon fast die Regel ist) und das ich mich beim Schritt zum Briefkasten fürchten muss.
Glücklicherweise habe ich an meiner Adresse eine große, positive Resonanz. Verkäufer*innen, die sich freuen, mich zu sehen; die Paket-Annahmestellen, die mich jedes mal so herzlich grüßen; Bäcker*innen, die sich freuen, wenn ich mir mal wieder Laugencroissants hole. Ich kann mich in dieser Hinsicht sehr glücklich schätzen.
Und dennoch bemerke ich natürlich die Blicke und der blanke Hass, der mir täglich begegnet, während ich einkaufen gehe. Und ich sehe auch die Menschen, die sich dazwischen stellen möchten, aber sich schlichtweg nicht trauen. Die gerne Kommentare unterdrücken würden, aber befürchten müssen, selbst verletzt zu werden. Die auch die Blicke und 180 Grad Rückenwenden sehen. Und so habe ich in 28 Jahren gelernt, eine extrem dicke Haut aufzubauen.
Inzwischen habe ich wenig Angst vor Konfrontation und kann mich lautstark verteidigen. Dass ich mir das jedoch beibringen und auferlegen musste, Das, genau Das ist das Problem.
Wenn ich überlege, wie gut es mir geht, wird mir gleichzeitig bewusst, wie schlimm es für andere sein muss, die in Regionen leben, in denen Rechtsradikale schon fast zur Tagesroutine gehören. Die kein Support-Netzwerk haben, die Niemanden haben, der sich hinter Sie stellt. Die sich nicht trauen, sich zu outen; die nicht den Support haben, um offen zu sich zu stehen. Die sich verstecken müssen.
Und genau deshalb braucht es Hilfe, Unterstützung, Verständnis und vor allem Aufmerksamkeit. Es braucht Stimmen, die sich gegen Hass und Hetze aussprechen; die Hassrede zur Anzeige bringen und Menschen für ihre Taten, ob online oder offline, zur Rechenschaft ziehen.
Wir brauchen Menschen, weit außerhalb der LGBTQIA*+ Community, die laut sind. Lauter, als die Populisten, die die Medien auf sich ziehen. Wir brauchen helfende Hände, die Organisationen unterstützten, die sich gegen Diskriminierung aussprechen. Wir brauchen Spenden, Zeit und vor allem ein offenes Ohr.
Ich möchte weg von mir wandern und euch an dieser Stelle gerne Organisationen präsentieren, die eure Hilfe brauchen. Projekte, die ihr unterstützten könnt; und vor allem auch aktuelle Nachrichten, die ihr höchstwahrscheinlich nicht mitbekommen habt, wenn ihr euch nicht aktiv darum bemüht, sie zu sehen. Denn es ist schockierend, dass ich fast täglich bei Queer.de lesen kann, wie weitere LGBTQIA*+ Menschen ermodert oder angegriffen wurden; davon aber nichts in den Hauptnachrichten höre. Ich möchte euch daher zum Ende hin ein bisschen mit unserer Realität konfrontieren. Was wir erleben und durchmachen müssen; in teilweise den weltoffensten und LGBTQIA*+ "freundlichsten" Städten.
Das hier sind Nachrichten der letzten 19 Tage. Neunzehn. Mit Ausnahme vom drei Artikeln alle aus Deutschland.
- Bayern: Weiter Kritik an angekündigtem queeren Aktionsplan
- Berlin: Schlägerei nach antisemitischen und homophoben Beleidigungen
- Dresden: CSD-Teilnehmerin Drogen ins Getränk gemischt
- Queeren Menschen geht es gesundheitlich schlechter als der Gesamtbevölkerung
- Homo- und bisexuelle Menschen denken doppelt so oft an Suizid
- Mit Fäusten gegen Kopf geschlagen: Homofeindlicher Angriff auch in Berlin-Kreuzberg
- Berlin-Neukölln: Jugendliche beleidigen schwules Paar – 14- und 16-Jähriger geschnappt
- Reutlingen: Drei CSD-Teilnehmer*innen bei Angriff leicht verletzt
- Polizei ermittelt nicht wegen Vergewaltigung, niemand half getretenem Jungen
- Angriff auf schwules Touristenpaar in Hooksiel
- Homofeindlicher Angriff: 22-Jähriger in Halle mit Reizgas besprüht
- Auch Vergewaltigung beim CSD Hannover
- Berlin: Reizgas-Angriff auf queere Bar
- Mann beleidigt, schlägt und würgt trans Frau in Düsseldorf
- Herne: Polizei verteidigt sich im Fall des verschwiegenen CSD-Übergriffs, Kritik von den Linken
- Frankfurt: Vier Heranwachsende nach queerfeindlichen Beleidigungen festgenommen
- Queerfeindlicher Angriff am Rande des CSD Wiesbaden
- Kim de l'Horizon von Kindern mit Eiern beworfen
- Berlin: Mann aus Gruppe heraus homophob beleidigt und geohrfeigt
- Polizei in Herne verschwieg CSD-Übergriff wegen queerfeindlicher Bedenken
Und ich möchte kurz das Thema "Pridewashing" oder "Greenwashing für Queere" vorstellen. Denn es ist weitaus größer, als man es sich vorstellt.
Als Blogger*in fällt mir natürlich besonders stark das Greenwashing auf. Autohersteller und Airlines, die sich nicht einmal daran wagen, eine bunte Fahne in ihre Saudi-Arabien Landesaccounts zu stecken, weil sie die direkte Niederbrennung befürchten - und das natürlich den Profit schmälert, sich hierzulande aber als weltoffenes, unterstützendes Unternehmen präsentieren.
Hallo an dieser Stelle u.a. an BMW, Mercedes-Benz, Intel, Lenovo und so viele andere. Aus allen Branchen: Lebensmittel, Medien, Fahrzeuge, Produktionsstätten, Elektronik, Shopping und so vielen mehr.
Es gibt aber auch positive Fälle und auf die möchte ich mich fokussieren. Denn wenn ihr Geld bei einer Marke lassen wollt, weil sie queere Menschen repräsentiert und unterstützt, dann sollten es Marken sein, die das auch außerhalb der Sommerzeit tun.
So ist NYX z.B. schon seit jeher ein großer Unterstützer queerer Organisationen gewesen, hat Paraden finanziert und bringt immer wieder mit Produkten Aufmerksamkeit auf queere Bedürfnisse - auch außerhalb der Pride-Season.
Ähnlich steht es auch um MAC. MAC hat beispielsweise große Spenden an AIDS-Forschung geleistet und mit namhaften queeren Personen zusammen gearbeitet, als erstes z.B. mit RuPaul. Oder Videos zusammen mit Miss Fame produziert haben; sie aktiv in ihre Kampagnen einbezogen haben.
Bei beiden sehe ich es jedoch ein wenig mit Bedacht an, da beide inzwischen veräußert wurden. So gehört NYX inzwischen zu L'Oréal, die mal mehr, mal weniger präsent sind und ihren Aktivismus doch sehr regional behandeln, und MAC zu Estee Lauder, einem Unternehmen, dass eine Vielzahl von Kritik verdient.
Mit Malin+Goetz ist man auf der sicheren Seite - das ganze Jahr. Zwar ist die Preisklasse nicht in Jedermanns Budget; die Marke ist aber queer-owned und steht der Community eifrig zur Seite. Man versteckt sich außerdem nicht, sondern hat das Queersein fest ins Image gepackt.
Auch viele Celebrity-Marken haben eine queere Identität; sie catern nicht an eine Personengruppe, sondern an alle, ohne Wenn und Aber. Ganz weit vorne sind FENTY BEAUTY von Rihanna, ONE/SIZE von Patrick Starrr, about-face von Halsey (mit ikonischen Multi-Use Produkten, die nahezu überall im Gesicht verwendet werden können) und, natürlich, Trixie Cosmetics von Trixie Mattel mit einem der ikonischsten pinken Lippenstifte der Industrie ganz nach dem Motto "Professional Formulas in Toy Packaging".
Wer gerne qualitativ hochwertigen Vodka genießt, darf ABSOLUT jederzeit gerne trinken. Die schwedische Vodka-Marke ist einer der größten Sponsoren der queeren Welt. Man richtet seine Werbung gezielt an queere Communities, unterstützt die AIDS-Forschung, zahlt für Prideparaden und verbindet sich gerne mit queeren Künstler*innen, die ikonische Flaschen für ABSOLUT entwerfen. Der Vodka ist daher inzwischen fester Bestandteil der Community und es gibt kaum eine andere Marke, die mehr Ressourcen und Geld in die Bedürfnisse queerer Communities gesteckt hat. Und was an ABSOLUT besonders ist: Man identifiziert sich Eins-zu-Eins mit der queeren Community. Ohne Wenn und Aber, Makel oder Sternchen.
ABSOLUT war übrigens auch eine der ersten Marken, die Marketingkampagnen exklusiv in queeren Medien veröffentlicht haben. Bei The Advocate und After Dark.
Für Liebhaber von Kerzen ist eine der bekanntesten queeren Marken "Boy Smells". Die Marke ist hierzulande zwar relativ unbekannt - und mit einem Preispunkt von bis zu 60 Euro pro Kerze weit über dem normalen Budget, ist aber inzwischen ein fester Bestandteil der queeren Community. Gegründet von queeren Menschen, für und mit einem queeren Publikum, dass immer wieder begeistert. Die Marke nutzt ihre Ressourcen verantwortungsvoll und nicht selten findet man eine Kerze oder ein Parfum der Marke im Hintergrund - oder auch Vordergrund - queerer Influencer*innen und Dragperformer*innen.
In Sachen Bekleidung ist man sofort bei FENTY von Rihanna und YITTY von Lizzo. Es gibt wenige Marken, die so präsent in der queeren Community verankert sind. Alle Kampagnen enthalten queere Models, Künstler*innen und Influencer*innen und das gesamte Sortiment ist unumstößlich geschlechterfrei. Keine anderen Marken bemühen sich so gut darum, dass alle sich in der Kleidung wohl fühlen.
Wer sich gerne einen eigenen Überblick verschaffen möchte, findet im Corporate Equality Index der Human Right Campaign wichtige Informationen und Positivbeispiele. Obwohl die HRC sich vor allem in der englischen Sprache aufhält, sind auch viele Marken und Unternehmen vertreten, die auch im deutschen Sprachraum immense Umsätze erzielen.
Abschließend möchte ich ganz gerne noch etwas Kleines sagen: Unabhängig von diesem Beitrag bedanke ich mich bei jedem, der es mir möglich gemacht hat, seit 12 Jahren etwas zu tun, dass ich liebe und das ich bis zu meinem Lebensende fortsetzen möchte.
Ich möchte gleichzeitig darum bitten, zuzuhören. Auch wenn es vielleicht nicht in eurem Freundes-, Familien- oder Bekanntenkreis "queer sein" der Fall ist (wenn auch statistisch unwahrscheinlich), gibt es genug Menschen, die eure Aufmerksamkeit brauchen und verdienen. Es gibt fantastische Ressourcen und Stimmen, die euch sehr gut leiten können, um eine aktive Stimme für die queere Vielfalt zu sein. Und es gibt ganz sicherlich auch in eurer näheren Umgebung Organisationen, Geschäfte und Veranstaltungen, die Hilfe benötigen oder aber auch einfach einen Ort zum kennenlernen und austauschen bilden.
Ganz abschließend möchte ich verdeutlichen: Nutzt eure Stimme - auch politisch. Geht. Wählen. Bei allem. Informiert euch über Kandidat*innen und die dahinter stehende Partei; klärt auf, wo Falschinformationen sind und - wenn ihr könnt - setzt euch für die ein, die sich alleine nicht oder nur sehr erschwert verteidigen können.
Ressourcen findest ihr zum Beispiel hier:
- goVolunteer
- Das Regenbogenportal der Bundesregierung
- Lesben- und Schwulenverband (LSVD)
- Deutsche Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti)
- Human Rights Campaign (US/International)
- GLAAD (US/International)
- Deutsche Aidshilfe
- CSD-Termine.de (auch Veranstaltungen außerhalb des CSDs)
- Queermed Deutschland (Liste queerfreundlicher Praxen)
- IWWIT - Ich weiß, was ich tue
Wir prüfen alle veröffentlichten Kommentare, bevor sie auf gooloo.de erscheinen, um sicher zu gehen, dass sie keine schädlichen Inhalte beinhalten und um so auch Spam zu reduzieren. Mit dem absenden deines Kommentares akzeptierst Du unsere Nutzungsbedingungen, sowie unsere Richtlinien in Bezug auf den Datenschutz und den Einsatz von Cookies.